Die Diekircher Orgeln (André Bauler)

Ein Streifzug durch vier Jahrhunderte (~1709-1999)


Als im Juni 1999 die jüngste Diekircher Orgel in der alten Laurentiuskirche aufgebaut wurde, sprach man von einem kulturellen Happening.


Das neue Instrument begeisterte in der Tat nicht nur Organisten, Musikliebhaber und Kulturschaffende, es wurde auch zu einem Anziehungsmagnet für Touristen aus dem In- und Ausland.

Heute, also gerade mal zwei Jahre später, ist diese Studio- und Konzertorgel, an deren Wiege auch der Dikricher Sängerbond Pate stand, nicht mehr aus dem kulturellen Patrimonium der Stadt wegzudenken. Die neue Orgel wurde zu einem Botschafter der Stadt, denn durch die Konzerte, die international anerkannte Künstler hier gespielt haben, wurde der Name Diekirch weit über die Grenzen unseres Landes getragen.

Die Orgel ist daher ein gesellschaftliches Instrument. Sie macht von sich reden.

 

Der Orgelbau ist auch nie die Sache eines Einzelnen. Viele Hände, viel Zeit und Ausdauer sind gefragt, wenn das Werk gelingen soll. Es braucht auch viele freiwillige Mitarbeiter, die sich am Orgelbau unentgeltlich beteiligen. Ohne Unterstützung edelmütiger Spender wäre die Seifert-Orgel nie gebaut worden.

Im September 1995 wurde der Diekircher Orgelbauverein ins Leben gerufen. Sinn und Zweck der neuen Vereinigung war es, eine Übungsorgel für die Musikschule anzuschaffen und die Orgelmusik zu fördern. Da man jedoch auch eine Konzertorgel benötigte, entschied man sich, das Instrument in der früheren Pfarrkirche aufzustellen.

Damals wurde auch überlegt, ob man die Orgel des ehemaligen Franziskanerklosters nicht wieder aufbauen solle. Es wird nämlich vermutet, dass schon im 17. Jahrhundert (1), genauer gesagt um 1680, eine Orgel im Diekircher Franziskanerkloster stand. Der Name des Erbauers ist nicht bekannt. Fragmente des barocken Orgelgehäuses hat uns Georg Westenfelder vor etwas mehr als sechs Jahren in seinem Lintgener Atelier gezeigt. Der Orgelprospekt der Klosterkirche, der von 1897 bis 1956 in der Merscher Dekanatskirche stand, kam wieder ins Gespräch, weil es sich ja um ein Stück Lokalgeschichte handelte. Weshalb sollte man nicht an eine Rekonstitution des historischen Instrumentes denken? Die Idee war äußerst verlockend.

Der Grundstein des "Couvent des Récollets" war im Jahre 1671 gelegt worden (2). Die Gründung ging übrigens vom Franziskanerkloster in Ulflingen (ggr. am 12. April 1630 unter dem Namen "Conventus Sanctorum Trium Virginum", Frères Mineurs Recollets de la Province de Flandres (3)) aus, was denn auch darauf schließen läßt, dass sich die Erbauer der ersten Diekircher Orgel an dem Instrument der dortigen Ordenskirche inspiriert haben dürften.

Nach der französischen Revolution löste man das Diekircher Kloster auf. Das ganze Mobiliar der Kirche (Hochaltar & Seitenaltäre, Predigtstuhl, Beichtstühle, Portal, usw.) wurde an andere Pfarreien verkauft. Den prächtigen, barocken Hochaltar kann man heute in der Medernacher Pfarrkirche bewundern. Die Nebenaltäre sind nach Merscheid/Vianden und nach Arlon gekommen. Die Beichtstühle stellte man in Eppeldorf auf.

Im 19. Jahrhundert wurde die Konventskirche, die sich im Sinne des Bettelordens durch eine sehr schlichte Architektur auszeichnete, abgerissen. An ihrer Stelle wurde die neue Laurentiuskirche erbaut (1867/69). Der südliche Teil der Klosteranlage blieb jedoch vorerst stehen. Hier wurden die Wohnungen für den Klerus eingerichtet. Auch die neugegründete Mittelschule (1830), die man 1841 zum Progymnasium erhob, wurde in den alten Gemäuern des Klosters bis zum Jahre 1868 untergebracht. Nach der Ardennenoffensive wurde der noch bestehende südliche Teil der Anlage dem Erdboden gleich gemacht (1948). Von da ab gehörte das frühere Kloster definitiv der Geschichte an. Heute können sich nur noch die wenigsten Diekircher an die ehemaligen Gebäude erinnern. Allein der Name "Kluuster" verrät, dass sich hier früher einmal eine Gemeinschaft von Rekollekten niedergelassen hatte.


1. Die Orgel des Franziskanerklosters (~ 1709)


Die Rekonstruktion der historischen Franziskanerorgel in der alten Kirche hätte sicherlich dazu beigetragen einen Teil des Minoritenkonvents wiedererstehen zu lassen. Nach reifer Überlegung fassten wir dann den Entschluss, die Überreste der ehemaligen Orgel doch nicht zu berücksichtigen, denn das fast total rekonstruierte Gehäuse hätte einerseits ob seiner Größe den architektonischen Rahmen gesprengt und wäre andererseits an einem Standort wiedererrichtet worden, der keinesfalls den historischen Gegebenheiten entsprochen hätte. Da die alte Kirche nie eine eigene Orgel besaß, hätte man sich früher oder später den Vorwurf einer historischen Lüge gefallen lassen müssen. Deshalb entschlossen wir uns die historischen Vorlagen nicht in unser Vorhaben mit einzubeziehen und ein komplett neues Instrument zu konzipieren.

Es bleibt ungewiss, wie viele Register die Franziskanerorgel hatte. Doch die Größe des Gehäuses lässt uns annehmen, dass es sich um ein ähnliches Instrument wie das in Ulflingen (entstanden zwischen 1658 und 1675) gehandelt haben muss. In anderen Worten, die Disposition dürfte kaum mehr als ein halbes Dutzend Register aufzuzeigen gehabt haben. Auch dürfte das Instrument ganz in der Tradition der südniederländischen Orgelbaukunst bzw. Klangästhetik erbaut worden sein. Wie die meisten Orgeln, die damals hierzulande errichtet wurden, besaß das erste Diekircher Instrument höchstwahrscheinlich kein selbständiges Pedal sowie nur ein einziges Manual. Man kann auch annehmen, dass sowohl das Gehäuse als auch die Prospekte ziemlich schlicht konzipiert waren, da die Fransiskanerpatres ja auch der Armut verpflichtet waren.

 
Weil die Patres durch südniederländischen Einfluss (heutiges Belgien) nach Ulflingen gekommen waren, ist es möglich, dass das Diekircher Gehäuse aus dem wallonischen Raum stammt (wahrscheinlich aus der Lütticher Gegend). Fragmente des Gehäuses in der Manufaktur G. Westenfelder wurden im Rahmen eines Orgelneubaus für die Pfarrkirche in Medernach verwendet, so dass man das rekonstruierte Gehäuse dort seit 2004 bestaunen kann.

 

Um 1705 erteilten die Diekircher Fransikaner den Auftrag für den Bau einer Orgel. Ein Vertrag vom 5. August 1705 gibt Aufschluss über den Beginn der Arbeiten.


2. Die Dalstein & Haerpfer-Orgel: die erste Pfeifenorgel der Dekanatskirche (1870)


Die erste Orgel für die Dekanatskirche in Diekirch baute Ende des vorigen Jahrhunderts die Manufaktur "Dalstein & Haerpfer" aus dem lothringischen Bolchen (Boulay). Es war übrigens auch die allererste Orgel, welche diese Firma hierzulande erbaute. Sie verfügte über 23 Register, die auf zwei Manuale und ein Pedal verteilt waren.

 

Die Orgel habe einen hervorragenden Klang gehabt, meint Norbert Thill (4). "Geradezu berühmt war Basson-Hautbois", schreibt er in seinem Buch über den Orgelbau in Luxemburg.

Am 8. August 1869 war die neue Dekanatskirche konsekriert worden. Dem Gotteshaus fehlte jedoch eine Orgel. Die Gemeinde, die schon die ganze Innenausstattung der Kirche bezahlt hatte, zeigte sich bereit, auch noch den größten Teil (75%!!) des Instrumentes zu finanzieren.

Im Juli 1869 hatte die Gemeindeverwaltung einen Vertrag mit der Firma Dalstein & Haerpfer abgeschlossen. Bis Mitte Mai 1870 sollte der Orgelneubau fertiggestellt sein. Der Auftrag wurde termingerecht erfüllt. Welch ein Glück! Denn acht Wochen später brach der deutsch-französische Krieg aus. "Boulay und das lothringische Flachland wurden überrannt", schreibt Alexis Hoffmann (5). Und weiter: "Am 27. Oktober 1870 wurde die belagerte Festungsstadt Metz dem Feind ausgeliefert. (...) Am selben Tag bespielte Heinrich Oberhoffer, als bestellter Experte, die neue Diekircher Orgel. (...) Das Revisionsprotokoll (...) ist genau auf den 27. Oktober 1870 datiert."

In den Tagen der Ardennenoffensive wurde die erste Dekanats-Orgel weitgehend zerstört. Einige Register blieben jedoch glücklicherweise erhalten und konnten in die Haupt-Orgel übernommen werden. Sieben Jahre später wurde das Instrument aus Boulay ersetzt durch das Werk der Lintgener Firma Haupt, die in der Zwischenzeit, was die Klangstruktur betrifft, tiefgreifende Veränderungen vorgenommen (neue Mixturen, neue Zungenregister) und einen funktionssicheren Spieltisch eingerichtet hatte.


3. Die Haupt-Orgel in der Dekanatskirche (1951)


Der langjährige Dirigent der Chorale municipale Sängerbond, Musikprofessor Jos Kinzé, der die Haupt-Orgel vom 1. Januar 1952 bis zum 5. Mai 1999, also fast ein halbes Jahrhundert lang als Titularorganist spielte, beschrieb das 1993 teilweise renovierte Instrument mit einem weinenden und einem lachenden Auge: "Von einem Wunderbau zu sprechen, wenn es sich um die Orgel in der Diekircher Dekanatskirche handelt, wäre immerhin übertrieben. Schon der fantasielose, wie ein dörfischer Gartenzaun wirkende Prospekt kann keine Begeisterungsstürme wecken. (...) die Zahl der klingenden Register ist für den weiten Raum der Diekircher Kirche zu gering angesetzt. Zum Vergleich: die Orgel der nur ein wenig größeren Basilika in Echternach verfügt über 75 Register, während sich die Diekircher Orgel mit 36 Registern begnügen muss, von denen übrigens vier keine eigenen Pfeifen haben und nur Transmissionsregister sind. Dazu ist die Orgel an einem denkbar ungünstigen Ort aufgestellt. Zu weit von der Kirchengemeinde entfernt, verdeckt sie zu einem großen Teil die Fensterrose der Ostfassade, was wiederum zur Folge hat, dass durch stundenlange Sonneneinstrahlung eine vollkommene Stimmkonstanz unmöglich ist. Eine Aufstellung des Instrumentes links und rechts der Empore mit weit in den Kirchenraum vorgezogenen Pfeifentürmen wäre möglich gewesen, hätte gewaltige klangliche Vorteile und auch optischen Gewinn gebracht."

Jos Kinzé weiß jedoch auch einige positive Seiten aufzuzeigen: er denkt "da an das noble Krummhorn des renommierten Pfeifenherstellers Giesecke aus Göttingen, oder an das traumhaft schöne Holzgedeckt, das noch aus der alten Dalsteinorgel stammt. Eine im wahrsten Sinne des Wortes orgelgünstige Kirchenakustik sorgt für ideale Klangverhältnisse und mindert etwaige Intonationshärten.

Im ganzen verfügt die Orgel über 2145 Pfeifen, ich habe sie genau gezählt, große und kleine Pfeifen aus Metall, aus Zinn, Zink, Kupfer und Holz. Die größte Pfeife, es ist der tiefste Ton des Registers Principal 16', ist 4,80 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 28 Zentimetern. Die kleinste Pfeife, nur wenige Zentimeter hoch, erzeugt einen Ton, der fast die Grenze des Hörvermögens erreicht."

 

In den Sommermonaten des Jahres 1993 wurde das Instrument ein letztes Mal renoviert. Orgelbauer Inigo Korte aus Essen nahm einige dringende Reparaturen vor und erweiterte die Klangpalette um ein Register (Quinte 1, 1/3').


Es sei daran erinnert, dass Jos Kinzé sich nie zu schade war, selbst im etwas unübersichtlich geratenen Pfeifenwald der Haupt-Orgel herumzuturnen, insbesondere dann, wenn wieder einmal irgendwo ein ohrenbetäubender "Heuler" aufgetaucht oder das eine oder andere Register unüberhörbar verstimmt war. Noch im hohen Alter von fast 80 Jahren scheute sich Jos Kinzé nicht in mehr oder weniger regelmässigen Abständen über eine uralte Holzleiter ins Orgelgehäuse zu klettern, um dann mit der Stimmgabel an diesen oder jenen Pfeifen zu hämmern. Da konnte es durchaus vorkommen, dass der alte Herr das Gleichgewicht verlor und auf den Orgelboden stürzte. Gott sei Dank kam er jedesmal glimpflich davon, so dass es nur bei einigen Schrammen blieb.


4. Die Walcker-Orgel in der früheren Kapelle des Diekircher Knabeninternates (1965)


Das Diekircher Pensionat Sankt Josef besaß eigentlich zwei Orgeln. Norbert Thill (7) weist nämlich darauf hin, dass schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Studio-Orgel im Pensionat stand (vermutlich seit Ende der 20er Jahre), die vom "früheren Kaplan Schmitz in Wiltz" erbaut worden war und zuerst im Wiltzer Hospiz stand.

1928 reparierte die Firma Stahlhuth-Haupt aus Lintgen dieses pedallose, über drei Register (Gedackt 8', Salicional 8' und Octave 4') verfügende Instrument. Mitte der sechziger Jahre schaffte man eine von der Manufaktur Walcker aus Ludwigsburg erbaute, zweimanualige Orgel für das Diekircher Konvikt an, nachdem der Kolléisch in den Jahren 1962-1966 vergrößert worden war.

 

Im neuen, zur Gymansiumsstraße hin gelegenen Teil des Kolléisch war inzwischen eine geräumige, dem Geist des aggiornamento entsprechende Kapelle eingerichtet worden. Auf der rechten Seite des Altarraumes, neben dem von Joseph Probst entworfenen Kruzifix also, errichtete man die Walcker-Orgel.

Die feierliche Einweihungszeremonie gestalteten Jos Kinzé, Paul Mousel und Camille Rodenbourg. Die neue Übungsorgel verfügte über eine mechanische Spiel- und Registertraktur. So mancher Ancien des Kolléisch und der Boulette erhielt hier seinen ersten Orgelunterricht oder studierte an diesem Instrument neue Werke ein. Auch der Chor des Gymnasiums, der in der Kapelle seine Proben abhielt, durfte auf die Orgel als Begleitinstrument zurückgreifen.


Ursprünglich war dieses Instrument für die Howalder Kirche bestimmt. Es war auch dort aufgestellt worden. Doch die Howalder Pfarrei konnte sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht so recht mit dem neuen Instrument anfreunden. Deshalb war die Firma Walcker gerne bereit Herrn Abbé Jos. Schmit, dem Direktor des Pensionates, dieses neue Instrument zu einem Vorzugspreis zu verkaufen. Es fanden sich auch schnell mehrere großmütige private Spender, die einen großen Teil der zu zahlenden Summe aufbrachten. Den Rest beglich das Bistum.

Als der Ale Kolléisch Ende der 90er Jahre umgebaut wurde, löste man die Kapelle auf. Die Orgel verlor somit ihre Daseinsberechtigung und mußte verkauft werden. Seit 1996 steht sie auf der Empore der Filialkirche von Hoffelt.


5. Eine kleine Westenfelder-Orgel bei Paul Mousel (1981)


Professor Paul Mousel, der den Pfarreien Diekirch und Stegen als Organist während Jahrzehnten treue Dienste leistete, erstand eine kleine, wohlklingende Hausorgel, die von Georg Westenfelder aus Lintgen gebaut wurde und ein angehängtes Pedal hat. Paul Mousel ließ dieses aus vier Registern bestehende Instrument im Jahre 1981 anfertigen und in seiner Bibliothek aufstellen. Es besteht aus vier Registern (Gedackt 8', Flöte 4', Flöte 2', Regal 8), verfügt aber nur über ein einziges, jedoch geteiltes Manual. Deshalb sind die Spielmöglichkeiten ziemlich eingeschränkt. Trotzdem lassen sich ohne weiteres kleinere Werke einstudieren, so dass der Organist nicht jedesmal zur Kirche laufen muß, wenn er gerade mal wieder etwas Zeit gefunden oder Lust bekommen hat, ein neues Stück zu proben.


6. Die Seifert-Orgel in der Alten Kirche (1999)


Im September 1995 gründeten begeisterte Orgelfreunde den Dikricher Uergelbauveräin. Zwei Jahre lang wurden die Argumente für und wider diesen oder jenen Vorschlag sorgfältig abgewogen. Zahlreiche Experten aus dem In- und Ausland wurden um ihre Meinung gefragt. Erst im Sommer 1997 kam es nach langem Hin und Her zum Durchbruch.

 

Die Firma SEIFERT und Sohn wurde unter acht Bewerbern ausgewählt (Georg Westenfelder (L), Alberic Thunus (B), Ulrich Lohmann (D), Guido Schumacher (B), Rudi Jacques (B), Yves Koenig (F) und die Firma Eisenbarth aus Passau).

 

André Bauler