Medernach: Orgue Westenfelder (2005)

Die Disposition der Medernacher Orgel


Hauptwerk C-f''

Bourdon 16'
Bourdon à cheminée 8'
Montre 8'
Prestant 4'
Flûte 4'
Nazard 2 2/3'
Doublette 2'
Tierce 1 3/5'
Fourniture V 2'
Cornet IV
Trompette 8' geteilt
Voix humaine 8'
Clairon 4'

Positiv C-f''

Bourdon 8'
Montre 8'
Prestant 4'
Nazard 2 2/3'
Doublette 2'
Tierce 1 3/5'
Quinte 1 1/3'
Cymbale III 1'
Trompette 8' geteilt
Cromorne 8'

Koppeln: I/P, II/P, II/I
Tremulant


Pedal C-f

Flûte 16'
Flûte 8'
Flûte 4'
Posaune 16'
Trompette 8'
Clairon 4'

Die Medernacher Orgel in ihrem historischen und architektonischen Kontext (~1705/1709)

Als vor fast zehn Jahren die Diekircher Amis de l'Orgue ins Leben gerufen wurden, überlegten die Gründungsmitglieder, ob es nicht sinnvoll wäre, die Orgel des ehemaligen Franziskanerklosters wieder aufzubauen. In seinem Buch "Orgeln und Orgelbau in Luxemburg", welches 1993 im Verlag Emile Borschette (Christnach) veröffentlicht wurde, vermutet Norbert Thill, dass gegen Ende des 17. Jahrhunderts (um 1670), eine Orgel im Diekircher Franziskanerkloster errichtet wurde. Der Name des Erbauers sei nicht bekannt, schrieb damals Prof. Thill.

Zu meiner großen Überraschung überreichte mir Pierre Matgen aus Diekirch im September 2004 ein Dokument, welches André Noël im Archiv der Bastnacher Justiz aufgespürt hatte und in welchem der Erbauer der Diekircher Franziskanerorgel namentlich erwähnt ist (cf. Archives de l'Etat à Arlon, Justice de Bastogne, farde 250, acte 199). Es handelt sich um den in Bastnach wohnenden Orgelbaumeister Jean Nollet (1681-1735), der am 5. August 1705 einen Vertrag mit Toussaint Mercenier aus Arel abschloss zwecks Errichtung eines Orgelgehäuses und Ausführung von Skulpturarbeiten.

Prof. Jeannot Kettel, Historiker und Bibliothekar des "Dikricher Kolléisch", ließ mir im vergangenen Frühherbst eine Kopie des von André Noël verfassten Artikels über "Les orgues des récollets de Diekirch" zukommen, der kürzlich veröffentlicht wurde. Hier findet man Präzisionen zur Person des Orgelbauers und zur Entstehung des Gehäuses.


Die Nollet: Orgelbauer aus den französischen Ardennen

Pascale van Coppenolle aus dem Conservatoire du Nord geht davon aus, dass Jean Nollet auch der Erbauer der Orgel in der St Johannes-Kirche in Luxemburg-Stadtgrund ist. Die Viandener Organistin schreibt dazu: "... on attribue la construction de l'orgue (also St Joh. in der Hauptstadt), entre 1705 et 1716 (entspricht genau der Zeitspanne während der die Diekircher Franziskanerorgel entstand), à Jean Nollet, ancêtre d'une dynastie de facteurs d'orgues, né près de Charleville dans les Ardennes françaises. Il se marie à l'église St-Michel à Luxembourg en février 1706 et est reçu bourgeois de cette ville en octobre de la même année. Il habite à Stadtgrund (fait peu étonnant quand on sait que le Grund était le quartier des artisans), et fait baptiser son fils Henricus Franciscus (!) en 1708 à l'église St-Jean du Grund. Mais sa carrière le mènera en Allemagne: il construira plusieurs orgues à Trèves dont celui de la cathédrale de 1724 à 1727; il exerçera aussi chez les jésuites et à la Cour à Coblence. Phtisique, il décède le 17 novembre 1735 dans la paroisse de St-Michel à Luxembourg, après une longue période d'infirmité. La dynastie de facteurs d'orgues sera assurée par un autre fils de Jean Nollet, Romain-Benoît (*1710), à la réputation de compétence bien établie mais de moeurs misérables, et le fils de ce dernier, Jean-Bernard (*1748), né en secondes noces.


Nollet Orgeln in Luxemburg, in der Eifel und im Hunsrück

Die Orgelbauer Nollet hätten sowohl in der Trierer Gegend als auch im Hunsrück und in der Eifel gearbeitet, unterstreicht Pascale van Coppenolle. Sie seien zudem in der berühmten Abtei Orval tätig gewesen und erbauten Instrumente im französischen Stil "... avec notamment demi-clavier d'écho et absence éventuelle de pédale tout en introduisant des jeux typiques de leur facture, tels que Tintinabulum II (Tierce 1 3/5' + 1') et Vox Angelica (anche de 2' seulement présente aux deux octaves graves du clavier)." Die Nollet seien, so Pascale von Coppenolle, die Vorläufer solch berühmter Orgelbauer wie Stumm und König gewesen, welche es fertig brachten die französische Orgelbaukunst mit der mitteldeutschen auf harmonische Weise zu verbinden. 

Fragmente des barocken Orgelbuffets, das eine Zeit lang als verschollen galt, hatte Georg Westenfelder einer Vertretung der Diekircher Orgelfreunde in seiner Lintgener Manufaktur gezeigt. Die spärlichen Überreste des Prospektes der ehemaligen Klosterkirche, welcher von 1897 bis 1956 in der Merscher Dekanatskirche stand (durch die Manufaktur Müller aus Reifferscheid wieder errichtet), kam tatsächlich wieder ins Gespräch als die Vereinigung "Amis de l'Orgue de la Vieille Eglise Saint Laurent de Diekirch a.s.b.l." beabsichtigte, im Chorraum der Alten Kirche eine Studio- und Konzertorgel aufzubauen. Das war im Frühsommer 1995. Zurecht wurde daran gedacht, auf diese Weise ein Stück Lokalgeschichte wieder aufleben zu lassen und man zog deshalb eine Rekonstruktion des originalen Orgelgehäuses in Erwägung.


Wiederrichtung in der Diekircher "Al Kierch"?

In der Tat, was sprach eigentlich a priori gegen ein solches Projekt? Der Gedanke, die Franziskanerorgel im ehrwürdigen Rahmen der alten Kirche zu neuem Leben zu erwecken schien sehr verlockend. Ohne Zweifel hätte das königliche Instrument dazu beigetragen, ein Teil des früheren Diekircher Minoritenkonvents in seine ehemalige Heimat zurückkehren zu lassen.

Auf Anraten der Denkmalschutzverwaltung entschlossen sich die "Amis de l¹Orgue" jedoch etwas später, die Überbleibsel der ehemaligen Orgel doch nicht zu berücksichtigen. Denn das fast total zu rekonstruierende Gehäuse hätte einerseits ob seiner Größe den architektonischen Rahmen des Gotteshauses gesprengt. Andererseits wäre es an einem Standort aufgebaut worden, der keineswegs den geschichtlichen Gegebenheiten entsprochen hätte.

Da die alte Kirche vorher nie eine eigene Pfeifenorgel besaß, hätte man sich sicherlich den Vorwurf einer historischen Lüge gefallen lassen müssen. Gerade deshalb wurde entschieden, ein komplett neues Instrument zu entwerfen, dessen Architektur sich harmonisch in den Chor einfügt und unverkennbar auf einen Neubau hinweist. Und weil die Medernacher Pfarrkirche seit dem frühen 19. Jahrhundert den größten Teil des Mobiliars des Diekircher Klosters beherbergt, lag es auf der Hand, das Orgelbuffet dort aufzubauen.


Die Klostergründung (1671) ging von Ulflingen aus

Am 16. Juli 1671 war der Grundstein des "Couvent des Récollets" während einer feierlichen Zeremonie gelegt worden. Zwei Jahre später, im November 1673, bezogen die Patres die neuen Gebäude, welche außerhalb der Stadtmauer lagen. 1678 war die Kirche samt Turm fertiggestellt, 1701 wurde sie konsekriert und am 25. März 1703 sangen die Minoritenbrüder zum ersten Male das Offizium im Chor.

Schon im Jahre 1654 hatte der Diekircher Pfarrer Johann Redinger für die Eröffnung eines Franziskanerklosters im Sauerstädtchen geworben. Der Wunsch des Geistlichen wurde von den Oberen des Ordens geteilt. Ganze fünfzehn Stunden war das Franziskanerkonvent in Luxemburg-Stadt vom Kloster Troisvierges entfernt. Pierre Stehres, der Gründer des "Dikricher Kolléisch", bemerkte, dass beide religiöse Gemeinschaften einen engen Kontakt unterhielten. Für die Visitatoren, "welche der Dienst von dem einen Institute zum anderen rief", konnte nirgends "ein bequemeres und besseres Absteigequartier eingerichtet werden als eben in Diekirch, der Mitte des Weges."

Es dauerte jedoch zehn Jahre bis das Projekt wieder ernsthaft zur Sprache kam. Der Nachfolger von Redinger, Melchior Blanchart, griff die Idee einer Klostergründung erneut auf. Auch der Generalkommissar des Provinzialkapitels, Peter von Ridders, der die mühselige Reise zwischen Luxemburg und Ulflingen kannte, machte sich für eine Franziskanerniederlassung im "herrlichen T(h)ale" von Diekirch stark.

Die Bürger der Stadt verfassten am 28. November 1664 eine Bittschrift  an den spanischen König Philipp II. in welcher sie die geistliche und soziale Mission des 1223 vom Papst anerkannten Bettel- und Barfüßerordens, der sich vor allem um Seelsorge und Unterricht kümmerte, unterstrichen. Da die Trinitarier in Vianden als auch die Benediktinerpatres in Echternach kaum ihre Klosterwohnungen verließen, gab man den Franziskanern den Vorrang.

Der Bitte schlossen sich sowohl die weltlichen Kleriker der Umgegend als auch die adeligen Herren an. Am 4. September 1665 gab der König seine formelle Einwillung zur Errichtung eines Klosters in Diekirch. Der Trierer Erzbischof, zu dessen Sprengel auch das Sauerstädtchen gehörte, bestätigte Philipps Erlass am 13. Oktober des selben Jahres. Pater Martin Conen, welcher sich sehr um die Gründung bemüht hatte, wurde zum ersten Präses (oder Vorsteher = Guardian) des noch zu schaffenden Konvents bestimmt. Pierre Stehres schrieb, dass Conen am 23. November 1665 in seiner neuen Eigenschaft nach Troisvierges reiste, "um daselbst die Einführung seines Ordens zu bewerkstelligen."

Die Gründung des Diekircher Konvents ging also in letzter Instanz vom Franziskanerkloster in Ulflingen aus, das am 12. April 1630 unter dem Namen "Conventus Sanctorum Trium Virginum" (Frères Mineurs Recollets de la Province de Flandres) gegründet worden war. Der Erbauer der Diekircher Konventsorgel, Jean Nollet, könnte sich übrigens durchaus am Instrument der dortigen Ordenskirche inspiriert haben. Dieses, so vermuten Experten, soll zwischen 1658 und 1675 entstanden sein.


Barockes Mobiliar in alle Himmelsrichtungen verstreut

Nach der französischen Revolution wurde das Diekircher Kloster aufgelöst. Das Mobiliar der Konventskirche (Hochaltar & Seitenaltäre, Predigtstuhl, Beichtstühle, usw.) wurde an andere Pfarreien bzw. Kirchen verkauft und somit in fast alle Winde zerstreut. Heutzutage kann man den imposanten, mit vielerlei Figuren und Malereien reichbestückten Hochaltar in der 1805 erbauten Medernacher Pfarrkirche bewundern. Auch die barocke, mit Sonnenblumen, Eichen und Eichenlaub stark verzierte Hauptpforte fand in Medernach eine neue Verwendung. Die Nebenaltäre wurden zuerst in Merscheid/Vianden und in Arel aufgestellt, derweil die Beichtstühle bis heute zur Innenausstattung der Eppeldorfer Pfarrkirche gehören.

Im 19. Jahrhundert wurde die Konventskirche, die sich im Sinne des Bettelordens durch eine sehr schlichte Architektur auszeichnete, abgerissen. An ihrer Stelle erbaute man die heutige Dekanatskirche (1867/69). Der südliche Teil der Klosteranlage blieb jedoch vorerst bestehen. Hier wurden die Wohnungen für den Klerus eingerichtet. Auch die neugegründete Mittelschule (1830), die man 1841 zum Progymnasium erhob, fand eine erste Bleibe in den Gemäuern des früheren Klosters, bevor sie dann 1853/54 in die heutige Mädchenschule ("Ecole primaire de jeunes filles") überwechselte. Bis in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts fungierten die Gebäulichkeiten als Presbyterium, also als Pfarrhaus, in welchem der Dechant und seine Kapläne residierten.

Während der Ardennenoffensive gerieten die ehemaligen Klostergebäude derart unter Beschuss, dass man sich dazu entschloss, den noch bestehenden südlichen Teil der Anlage dem Erdboden gleich zu machen (1948).

Von da ab gehörte das frühere Kloster definitiv der Geschichte an. Heute können sich nur noch die wenigsten Diekircher an die ehemaligen Gebäude erinnern. Allein der Name "Kluuster" verrät, dass hier in früheren Zeiten eine Gemeinschaft von Rekollekten gelebt und gewirkt hat.


Die Orgel im Kontext des frühen 18. Jahrhunderts

Erst 30 Jahre nach seiner Gründung entschloss sich das Rekollektenkolleg eine Pfeifenorgel bauen zu lassen. Vorerst mussten andere Ausgaben getätigt werden. Da man auf Geldspenden und auf Schenkungen von Immobilien angewiesen war, mussten sich die Patres, die sich ja der persönlichen Armut und der Selbstheiligung verschrieben hatten, auf das Wesentliche beschränken. Zudem war das finanzielle Umfeld zu dieser Zeit alles andere als rosig.

Nachdem König Karl II. im Jahre 1700 verstorben war, entbrach der Spanische Erbfolgekrieg. Ludwig XIV. ließ im Februar die Festung Luxemburg besetzen. Das Herzogtum, das schon einmal, nämlich zwischen 1684 und 1698, unter französischer Herrschaft stand, wurde teilweise in die Kriegswirren verstrickt. Die hohen Kriegssteuern, welche der Bevölkerung auferlegt wurden und ihr schwer zu schaffen machten, veranlassten diese, sich stark zu verschulden. Aus einem Gesuch an den Sonnenkönig (1702) geht hervor, dass die Bürger der Stadt Diekirch sich nicht mehr in der Lage sahen, die Schulden, welche in früheren Jahren im Interesse der Allgemeinheit gemacht worden waren (vor allem um Kriegsschäden zu reparieren bzw. durchziehende Truppen unterzubringen und zu verpflegen), zu tilgen.

In der Tat, während des 16. und 17. Jahrunderts hatte das Wirtschaftsleben des Herzogtums sehr unter den verheerenden Kriegswirren gelitten. Ackerbau, Handwerk und Gewerbe lagen über Jahrzehnte hin darnieder. Die anhaltende Unsicherheit lähmte den Handel, so dass die meisten Bürger und Bauern verarmten. Erst unter französischer Herrschaft (1684-1698) blühte die Wirtschaft allmählich wieder auf. Doch bei Ausbruch des Erbfolgekrieges (1701-1714) verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage wieder erheblich.

So sah sich ein Drittel der Witwen und Tagelöhner Diekirchs gezwungen, den Bettelstab in die Hand zu nehmen. Ludwig XIV. kam den wehklagenden Stadtoberen entgegen indem er am 8. Juni 1703 entschied, dass die Schuldner bis zum Ende des Krieges keinerlei Zinsen an ihre Gläubiger zahlen müssten.

Auch wenn der Sonnenkönig den unter Kriegslasten stöhnenden Bürgern Ausstand gab, bedeutete dies nicht, dass sie das Gröbste überstanden hätten. Ganz im Gegenteil: das Jahr 1709 erwies sich, wettermäßig, als verheerend. In diesem Winter fror in Versailles der Wein auf dem Tisch des Königs. Ein Großteil der Saaten wurde durch überaus strengen Frost zerstört.

Ein Bericht des Curé d'Ezy (vallée de l'Eure) beschreibt die katastrophale Wetterlage wie folgt: "(...) Il gelait jusqu'au coin du feu et le vin auprès du feu ne dégelait qu'à peine. La rivière prit de plus d'un pied d'épais ... . Les neiges étaient aussi prodigieuses que la gelée. Il y en avait jusqu'aux genoux également ... . Il n'y eut point de cave si profonde où la gelée ne pénétrât. La plupart des cidres furent perdus dans les celliers. Les volailles tombaient mortes dans leurs pouliers, les bêtes dans leurs tanières et les hommes avaient bien de la peine à s¹échauffer surtout la nuit. Pour dire une messe basse, il fallait deux réchauds, un proche le calice et l¹autre des burettes. (...) La plupart des vignes firent gelées, le vin fort rare pendant trois ans ... ."

Ob dieser verheerenden Witterung erwies sich die wirtschaftliche Lage als katastrophal. Kein Wunder, dass sich die Preise der Nahrungsmittel verfünffachten. Die vom Hunger geschwächte Bevölkerung wurde von Grippewellen und Epidemien heimgesucht. Die Zahl der Sterbefälle schnellte nach oben. Auch Karl Anton du Prel, Herr zu Erpeldingen, schrieb seine Erinnerungen an den grausamen Winter von 1709 nieder. Alles Getreide sei durch eine unerhörte Kälte, welche weit über einen Monat andauerte, zugrunde gegangen. Am Dreikönig Vorabend, so du Prel, sei der Frost schon derart streng gewesen, dass er ein Fuder Wein trug. "Meines Vaters Hämmel", berichtet der Erpeldinger Herr, "beinahe 300 Stück, starben alle ohne Ausnahme. Vögel und Fische erfroren, fast alle Bäume, besonders Obstbäume erstarben. Auf dem Tisch musste man Feuer unter dem Essgeschirr unterhalten, um Fleisch und Speisen vor dem Gefrieren zu bewahren. (...) Das Eis auf der Sauer war vier Schuh dick. Um Pfingsten sah man noch Eisschollen auf dem Wasser."

Erst nachdem Luxemburg unter die Herrschaft der österreichischen Habsburger gelangte (1714-1795) verbesserte sich das wirtschaftliche und finanzielle Umfeld. Karl VI. wusste für das Wohl seiner Untertanen zu sorgen und so kam es erst einige Jahre später zu schrittweisen Verbesserungen in der Landwirtschaft und im Gewerbewesen.


Die Bastnacher Justiz gibt Aufschluss

Doch zurück zu unserer Orgel. Es bleibt bis heute ungeklärt, über wieviele Register die Diekircher Franziskanerorgel, die zu den zehn ältesten des heutigen Großherzogtums gehört, verfügte. Die Überreste des Gehäuses, welches eine Höhe von über zweieinhalb Metern hatte, lassen uns vermuten, dass es sich - vom Stil her - um ein ähnliches Instrument wie das in Ulflingen oder jenes in der Sankt-Michaels-Kirche in Luxemburg-Stadt gehandelt haben muss (er. 1609, ren. 1662). Allerdings war das Orgelgehäuse der ehemaligen "Knuedeler"-Kirche, das also später auf dem "Fëschmaart" errichtet wurde,  ähnlich dem der Viandener Trinitarierkirche (1693, von einem Mönch geschaffen) prächtiger als das Diekircher. Auch in punkto Disposition beschränkte man sich auf das Wichtigste. Diese setzte sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus höchstens 8-10 Registern zusammen.

Wie die meisten Orgeln, die damals hierzulande errichtet wurden, besaß das erste Diekircher Instrument, welches ganz in der Tradition der südniederländischen Orgelbaukunst bzw. Klangästhetik erbaut wurde und unter Guardian Sebastian Biever entstand, kein selbständiges Pedal. Es verfügte lediglich über ein Manual.

Der am 5. August 1705 zustanden gekommene Vertrag zwischen Jean Nollet, welcher als Orgelbaumeister (zeitweilig?) (in Bastnach?) arbeitete und mit den "Révérends pères Récollets de Diekirch" vereinbart hatte eine Orgel zu bauen ("orgue de huit pieds"), und Toussaint Mercenier aus Arlon, sah vor, dass letzterer den Bau und die Dekoration des Prospektes gemäß einer von Nollet angefertigten Zeichnung zu bewerkstelligen hatte. Jean Nollet wird in diesem Vertrag nicht als Bürger von Bastnach betitelt, sondern lediglich als "habitant". Das heißt im Klartext, dass er wohl dort nur vorübergehend anwesend war (vielleicht um den oben erwähnten Vertrag zu unterzeichnen) und demnach aus einer anderen Gegend stammt, wahrscheinlich aus den französischen Ardennen.

Nollet war also nicht in Bastogne "eingebürgert", denn dazu hätte er hier länger leben sowie einer geregelten bzw. anerkannten beruflichen Tätigkeit nachgehen müssen. "Bourgeois", schreibt André Noël, bedeutet auch, dass man definitiv in einer Stadt integriert ist "avec droits et devoirs envers ses concitoyens." Das schien bei Jean Nollet keineswegs der Fall zu sein, denn schon 1706 wechselte er nach Luxemburg über und soll dort im Herbst des selben Jahres als Bürger anerkannt worden sein.

Toussaint Mercenier, der aus Bastnach stammte und dort um 1650 geboren wurde, fungierte also als Subunternehmer Nollets, welcher sich in Gegenwart von zwei Zeugen, nämlich Jean de Recogne und Claude L'Arbillon, schriftlich verpflichtete "de payer audit Mercenier à mesure du travail qu'il ferat ayant esté conditionné que la nourriture dudit Mercenier luy sera fournie sans qu'il luy en cause la moindre chose de son propre, pendant le temps qu¹il travaillerat à ce que dessus, et que ledit Mercenier ne fournirat rien synon ses outilles et ses peines tout quoy parties se sont obligés respectivement soubs obligations de leur bien, foy et honneur."

Nollet versprach also für die Beköstigung Merceniers aufzukommen, derweil dieser nichts anderes als sein Material und seine Arbeitskraft (sprich seine künstlerischen Fähigkeiten) zur Verfügung stellte. Es kann durchaus sein, das Mercenier ausschließlich für die feinen Skulpturen, welche Früchte, Blumen und Blätter darstellen, zuständig war, denn die üblichen Schreinerarbeiten konnten problemlos von einem Handwerker übernommen werden. André Noël bemerkt zudem, dass Toussaint Mercenier gegen Ende des 17. Jahrhunderts im südniederländischen Raum als angesehener Bildhauer galt. Sein hohes Ansehen verdankte er vor allem dem von ihm im Jahre 1694 erbauten Hochaltar in der früheren Sankt Martinus-Kirche zu Arel.


Finanzierung durch Spenden

Aus den Schriften von Pierre Stehres entnehmen wir, dass die Finanzierung des Orgelprojektes von "besondern Wohlthätern unterstützt" wurde. Es ist schon erstaunlich, dass die Orgel einen gewissen Vorrang genoss, denn das eigentliche Prachtstück der Kirche, nämlich der barocke Hochaltar, wurde erst um 1710 fertig gestellt.

Stehres erwähnt, dass ein bayerischer Noviz namens Paulus Courtz, "der ein geschickter Künstler in Holzarbeiten war" mit dem Bau des Hochaltars beauftragt wurde. "Dieser nahm noch etliche Drechsler und Schreiner zu sich und machte mit ihnen während der Zeit seines Noviziates den Altar." Auch bei diesem Projekt sammelte das Kloster tüchtig Spenden, nämlich 122 Reichstaler, darunter eine Spende von Paulus Schreiffer (oder Screiber) aus Michelau (20 Rt). Schreiffer meinte es gut mit dem Kloster und gab auch noch 20 Reichstaler für die Erbauung der Pfeifenorgel.

In der Tat, in einem Notizenbüchlein (*), das wir im historischen Archiv der Stadtverwaltung Diekirch fanden und das den Titel "Cat(h)alogus in quo continentur Nomina patrum ac fratrum in hoc conventu defunctorum. item et Nomina Benefactorum ac Benefactricum qui ob singularia benefacta conventus nostri suffragiis commendantur. 1793" trägt, fiel uns folgende Eintragung auf: "Paulus Screiber ex Michelauen vivens in caelibatu preter innumera quotidiana benefacta dedite 20 imperiales pro constructione organi, et 20 pro constructione summi altaris, ut vivus et mortuus sacrificijs, deprecibus nostris comme(n)daretur. R. I. P. (Paul Screiber de Michelau vivant dans le célibat a donné, outre (en dehors) d¹innombrables bienfaits quotidiens, 20 écus (impériaux, Reichstaler) pour la construction d¹un orgue et 20 écus pour la confection de l'autel principal pour que, vivant et mort, il soit recommandé à nos messes et prières. - trad. par R. Brachmond, 25/09/2004). Paulus Schreiffer, der diese Spende 1709 tätigte, stammte übrigens aus dem Hause "A Schreiwisch", seit 1936 Hof Mathay.


Erste Renovierung bereits im Jahre 1760

Bleibt zu erwähnen, dass die Orgel unter Guardian Pius Hendel von Luxemburg um 1760 komplett renoviert werden musste, da sie in den vorigen Jahren "zerfallen" war. Wenn man bedenkt, dass, nach vier Jahrzehnten, ein Materialverschleiss unausweichlich ist und man davon ausgehen kann, dass der Winter von 1740, der bekanntlich noch strenger als jener des Jahres 1709 war, dem Instrument schwer zu schaffen machte (niedrige Luftfeuchtigkeit schadet auf Dauer dem Holz), dann ist eine Renovierung an sich nichts unübliches. Da die Patres immer wieder mit edelmütigen Spendern rechnen konnten, werden sie dieses Mal weniger Probleme bei der Finanzierung gehabt haben.

Denn unter Kaiserin Maria Theresia (1740-1780) ging es der heimischen Wirtschaft besser als in den Jahren vor ihrer Regentschaft. Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe profitierten von Schutzzöllen, so dass sich große Teile der Bevölkerung auf materieller Ebene erholen konnten. Das allgemein günstige wirtschaftliche Umfeld gab sicherlich eine gute Ausgangsbasis für einen günstigeren finanziellen Rahmen her.

Es ist deshalb erlaubt anzunehmen, dass die Disposition der ersten Orgel, welche Nollet zu Beginn des 18. Jahrhunderts schaffte, erweitert wurde. Ursprünglich handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein einmanualiges Instrument mit nur wenigen Registern. Um 1740 soll die Manufaktur Nollet die Viandener Trinitarierorgel umgebaut bzw. vergrößert haben. Inspirierte man sich demzufolge an dieser Arbeit? Kann es sein, dass um 1760 ein zweites Manual hinzu kam? War der zweite Sohn Jean Nollets, also Romain-Benoît, der 1710 zur Welt kam, mit den Restaurierungsarbeiten beauftragt worden?

Als die Gebrüder Müller aus Reifferscheid die Franziskanerorgel aus Diekirch in Mersch neu errichteten, beschränkten sie sich auf ein Manual mit ein Dutzend Registern und auf ein eigenständiges Pedal mit deren vier. Daher ist es keineswegs abwegig davon auszugehen, dass auch das 1760 geschaffene Instrument weiterhin einmanualig blieb. Es ist auch nicht gesichert, ob Nollets Orgel von 1710 über ein Pedal verfügte. Denn als dessen Manufaktur rund dreißig Jahre später das Viandener Instrument um- und ausbaute, fügte er kein Pedal hinzu. Erst 1815 erhielt die Trinitarierorgel ein Pedal.

So manche Fragen bleiben demnach offen und man darf gespannt sein, ob in absehbarer Zukunft weitere Dokumente in verstaubten Archivräumen auftauchen, damit wir auf diese Weise mehr über die Wurzeln der luxemburgischen Orgellandschaft kennen lernen. Auf jeden Fall beglückwünschen wir die Medernacher Pfarrei zu ihrer neu-alten Orgel aus dem Hause Georg Westenfelder und wünschen, dass sie sowohl zur Verschönerung der Gottesdienste als auch zur kulturellen und musikalischen Bereicherung der Ortschaft beiträgt.


André Bauler
© Dieser Text wurde 2005 veröffentlicht.

______________________________________________________

Quellennachweis

ARCHIV der Stadt Diekirch

Roger BRACHMOND (1992), Chronique de l¹établissement d¹enseignement secondaire communément appelé Dikricher Kolléisch (chronique 1830-1848), in: Livre d¹Or du Lycée classique de Diekirch

Jacques DUPAQUIER et Marcel LACHIVER (1970), Les temps modernes, Nouvelle collection d¹Histoire, Bordas, Paris

Jean HAAN (1983), Gilsdorf - Die Geschichte eines alten Sauerdorfes, Imprimerie Saint-Paul (ISP)

Jos HERR (1985), Diekirch, Imprimerie Saint-Paul (ISP)

Claude LANNERS (1992), Chronique de l¹établissement d¹enseignement secondaire communément appelé Dikricher Kolléisch (le progymnase de 1848/49 à 1890/91), in: Livre d¹Or du Lycée classique de Diekirch

Paul MARGUE (1974), Luxemburg in Mittelalter und Neuzeit (10. bis 18. Jahrhundert), Luxemburg

André NOEL (2004), Les orgues des Récollets de Diekirch et les facteurs Nollet (XVIIe-XVIIIe s.), in: Bulletin trimestriel du Musée en Piconrue, Art religieux et croyances populaires en Ardenne et Luxembourg, No 73, 1er trim., Bastogne

Joseph MEYERS (1948), Geschichte Luxemburgs, Editions Paul Bruck, Luxemburg

Michel SCHMITT (1978/1996), St. Andreas - Pfarrkirche Ulflingen, Kunsthistorische Notizen, in: Plaquette éditée à l'occasion de l'inauguration de l'orgue de l'église restaurés de Troisvierges

Pierre STEHRES (1848), Geschichtliche Notizen über die Gründung und das Fortbestehen des Franziskanerklosters zu Diekirch, Programme du progymnase de Diekirch, 1847/48

Norbert THILL (1993), Orgeln und Orgelbau in Luxemburg, Editions Emile Borschette, Christnach

Pascale VAN COPPENOLLE (2000), Le Luxembourg entre les univers roman et germanique, René Gailly Productions, Belgique

(*) trad.:  Index qui contient les noms des pères et frères défunts de notre communauté de même que les noms des bienfaiteurs et bienfaitrices qui pour leur bienfaits particuliers sont recommandés à l¹attention (aux prières) de notre communauté.


Fotos © André Bauler, 1.1.2006