Louis und seine Spiegelbilder (Norbert Thill)

 Louis und seine Spiegelbilder ...

 

 

Was lange währte, wurde in Diekirch nicht nur endlich gut, sondern bestens. Gemeint ist die neue Seifert-Orgel in der Laurentiuskirche, deren Aufbau (nach einer vierjährigen Planung) Anfang Juli 1999 - nach drei Wochen Montage- und Intonationsarbeiten - abgeschlossen wurde.

Wohl besitzt die Diekircher Dekanatskirche mit der 1870 von Dalstein & Haerpfer erbauten, 1951 von Georg Haupt erweiterten und seither mehrmals - auf Initiative des Titularorganisten Jos Kinzé - umgeänderten Orgel ein klangschönes Instrument, das sowohl im liturgischen Dienst als auch als Konzertinstrument und als Studioorgel für den Orgelunterricht der Musikschule hervorragende Dienste leistet. Für die Orgelkurse der Diekircher Musikschule stand zusätzlich die 1965 von der Manufaktur Walcker in der Kapelle des Pensionats errichtete Orgel zur Verfügung, bis diese abgebrochen und nach Hoffelt transferiert wurde. Im September 1995 gründeten fervente Orgelfreunde den "Dikricher Uergelbauveräin" in der Absicht, der Musikschule eine eigene Orgel zu vermitteln, die sowohl als Studioorgel als auch als Konzertinstrument eingesetzt werden kann.

 

Obschon sich unter den Orgelbaumanufakturen, die um ein Angebot ersucht wurden, bekannte und bewährte Orgelbaumeister befanden wie Georg Westenfelder, Alberic Thunus, Ulrich Lohmann, Guido Schumacher, Rudi Jacques, Yves Koenig und die Firma Eisenbarth, fand doch keiner der vorgelegten Orgelprospekte die Zustimmung der staatlichen Kommission. Schließlich legte die Manufaktur Romanus Seifert & Sohn aus Kevelaer, die als letzte zusätzlich kontaktiert wurde, einen Prospektentwurf vor, der allgemeine Anerkennung fand, weil er sich den architektonischen Besonderheiten der Laurentiuskirche anpaßt und so eine optische Harmonie schafft, wie sie zwischen Orgel und Raumarchitektur nicht oft erreicht wird.

Das Gesicht der Seifert-Orgel

Die (alte) Sankt Laurentiuskirche in Diekirch gehört zu den wertvollsten Gebäuden unseres Kulturpatrimoniums: Die spannungsgeladenen und doch harmonisch abgewogenen Bauformen prägen den von der Trinitarierarchitektur beeinflußten, zweischiffigen Innenraum, dessen nach Osten gerichteter Chorraum als Standort für die neue Orgel gewählt wurde. Dadurch wird die Orgel zum dominierenden Element der Raumgestaltung, was eine besonders einfühlsame Gestaltung des Orgelprospektes verlangte. Obschon die Schauseite der neuen Orgel als Synthese zwischen klassischen und modernen Prospektelementen gewertet werden kann, wird sie dennoch - spontan - als integrierter Bestandteil empfunden.


Obschon das Chorfenster nicht zur ursprünglichen Bausubstanz der Laurentiuskirche gehört, wurde der Orgelprospekt so gestaltet, daß das Maßwerk in seinen wesentlichen Bestandteilen erhalten blieb. So entstehen tagsüber infolge des einfallenen Lichtes besondere Effekte die infolge der Seitenfenster ohne nachteilige Blendwirkung bleiben, so daß der Orgelprospekt in seiner ganzen Pracht zur Geltung kommt.


Drei elegante Pfeifentürme, die in ihrer Anordnung und unterschiedlichen Größe an die drei Lanzetten des Chorfensters erinnern, verleihen dem Prospekt eine majestätische Aussage. Die Pfeifen der flachen Zwischenfelder sind so angeordnet, daß ihre oberen Enden einen Halbkreis bilden, der sich in geradezu vollendeter Harmonie in das Gewölbe integriert. Während der obere Halbkreis einen optischen Kontrapunkt zum Maßwerk des Chorfensters herstellt, haben die beiden unteren Flachfelder - als Gegengewicht zum Lichtspiel des Chorfensters - ein fein geschnitztes Rankenwerk erhalten.


Ein Zimbelstern

An der Krone des mittleren Pfeifenturms weist ein Stern darauf hin, daß die Disposition über einen Zimbelstern verfügt, wie wir ihn u. a. in den 1978 von der Firma Oberlinger in Perlé oder in der 1981 von Georg Westenfelder auf Fetschenhof-Cents erbauten Orgeln vorfinden. Der Zimbelstern besteht aus kleinen Glöckchen, die einen derart hohen Ton ergeben, daß das menschliche Gehör sie nicht mehr in eine bestimmte Tonart einordnen kann. In Verbindung mit bestimmten Registern können interessante Klangeffekte erzielt werden.


Während der Aufbauarbeiten konnten sich die interessierten Orgel- und Musikfreunde von der hochwertigen Qualität des verarbeiteten Materials und von der Gewissenhaftigkeit der durchgführten Arbeiten überzeugen. Die übersichtlich angelegte und äusserst fein gearbeitete Trakturanlage ist in all ihren Bestandteilen leicht zugänglich, so daß eventuelle Nachregulierungen bequem durchgeführt werden können; ein breiter Stimmgang sichert den mühelosen Zugang zu den einzelnen Pfeifen. Die neue Seifert-Orgel in Diekirch liefert den Beweis, daß der Wahlspruch des Firmengründers auch heute noch in der 5. Generation befolgt wird: "Bauet Orgeln mit Liebe und Sorgfalt!"

 

Registerzug "Louis"

Eine wohl einmalige Besonderheit in der einheimischen Orgellandschaft stellt der Registerzug "Louis" dar: er läßt einen Esel, der sich zwischen den Pfeifenfüßen des linken Pfeifenturmes verborgen hält, aus seinem Versteck hervorspringen und lauthals sein typisches "Hiha" krächzen, wobei dieser heiseschnarrende Klang an die im altspanischen Orgelbau gebräuchlichen Altmänner- oder Altweiberstimme (voz de viejos - voz de viejas) erinnert. Wenn auch solche Spielereien nicht unbedingt zum unumgänglich notwendigen Bestand einer Orgel gehören, so handelt es sich doch um amüsante Zutaten, die im Orgelbau - selbst bei historischen Instrumenten - anzutreffen sind. So finden wir z. B. in der Bekrönung des Rückpositivs des 1491 von Sebastian Krebser im Straßburger Münster erbauten Orgelprospektes wichtige Werkzeuge des Orgelbauers wie Zirkel und Kreis abgebildet, während unter der Konsole des Rückpositivs vier Figuren am Orgelspiel teilnehmen: Samson, der dem Löwen das Maul aufreißt, sowie zwei bärtige Männergestalten mit altspanischer Kopfbedeckung, die auf Hebeldruck des Organisten hin ihre Trompeten an den Mund setzen und den Takt schlagen.

 

Besonders in der Barockzeit waren solche Zutaten beliebt. Im Orgelprospekt waren bewegliche Figuren angebracht, die das Orgelspiel durch allerlei Gesten optisch illustrierten: Engel und Putten spielten auf ihren Instrumenten, während die übrigen Figuren choreographisch am Orgelspiel teilnahmen. Im Magdeburger Dom schlug ein Adler mit seinen Flügeln, in Basedow streckt immer noch ein Löwenkopf die Zunge heraus und rollt mit seinen unheimlichen Augen; in Rostock St. Marien setzen sich Sonne, Mond und Sterne seit 1770 beim Orgelspiel in Bewegung. Diese Spielereien erfreuen sich bis heute einer großen Beliebtheit: an der 1974 von der Firma Klais im Trierer Dom erbauten Orgel ist am Fuß des Orgelprospekts, der sich nach unten wie ein riesiger Tropfen verjüngt, eine Symbolfigur des griechischen Hirtengottes angebracht, der auf einen Hebeldruck des Organisten hin sein Panflöte erklingen läßt. In manchen Orgeln gibt es einen "Vogelgesang" oder "Vogelgeschrei". Für diese mit natürlichen Orgelpfeifen nachzuahmenden Vogelstimmen gibt Dom Bédos ganz präzise Hinweise für Registermischungen. Das vom Dudelsack inspirierte "Hummelchen" hatte die Aufgabe, durch sein Brummen (das von zwei in eine Quarte gestimmten Zungenpfeifen hervorgerufen wurde) diejenigen aufzuwecken, die während der Predigt eingeschlafen waren.

 

Der Diekircher "Louis" wird diese Aufgabe ganz sicher erfüllen. Es braucht dann sicher nicht der Donnereffekte, wie sie u. a. in der Monumentalorgel in Paris Saint-Sulpice durch einen einfachen Hebeldruck schlagartig von mehreren nebeneinanderliegenden Baßpfeifen produziert werden.

 

Norbert THILL
26. Juni 1999